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Vielfalt-Baum für Ganzjahresweide in der Börde

Wer betrachtet wen? Die Besucher konnten sich am Auszeichnungstag bei einer Fahrt über die Weide ein Bild von Natur und Weidetieren machen. Der Wasserbüffel hat nicht oft so viel Besuch.

Die Agrargenossenschaft Emden e.G., insbesondere die „Weidewirtschaft Seelsches Bruch“ ist mit ihrer Ganzjahresweide unter dem Titel „Mit Wasserbüffeln und Exmoorponys zu neuer biologischer Vielfalt“ als UN-Dekade-Projekt ausgezeichnet worden. Landwirtschaftsministerin Claudia Dalbert nahm in dieser Woche die Ehrung von Silke Fischer (AG Emden), Michael Daul (Weidewirtschaft), Forstdirektor Heinrich Menkhaus (Flächeneigentümer) sowie allen anderen Beteiligten im Beisein von Landrat Martin Stichnoth und Sachsen-Anhalts Bauernverbandsgeschäftsführer Marcus Rothbart vor.
Ministerin Dalbert würdigte in ihrer Laudatio besonders das Zusammenwirken aller Akteure vor Ort und in den zuständigen Ämtern: „Das ist ein herausragendes Beispiel für nachhaltige und naturnahe Landnutzung, bei welchem mit Überzeugung, Willen, Herz, Leidenschaft und Beharrlichkeit alle Widernisse überwunden wurden.“ Die ökologische Wertigkeit der Flächen sei gesteigert worden und so ein Mehrwert für die Artenvielfalt entstanden. Beispielhaft zeige das Projekt den Erhalt und die Wiederbelebung unserer Kulturlandschaft. Dalbert gratulierte und dankte allen Beteiligten für ihr Engagement und überreichte mit Landrat Stichnoth das Zertifikat sowie den hölzernen „Vielfalt-Baum“.

Weidetiere als wichtigste Helfer für die Artenvielfalt

Ein grüner Tümpel aus dem zwischen riesigen Hörnern die großen dunklen Augen eines Wasserbüffels hochschauen. Eine ganze Herde der schwarzen, oft langhaarigen großen Rinder weidet um das Wasserloch. Die Wasserbüffel sind in der Börde heimisch, im Seelschen Bruch, gelegen zwischen Hakenstedt, Uhrsleben, Erxleben und Eimersleben. Ringsherum weht über Rübenäcker und Maisstoppeln der Wind, intensiv genutzter Bördeacker. Mittendrin ist auf Initiative und in Trägerschaft der Agrargenossenschaft Emden eG ein enormes Artenschutzprojekt in die Tat umgesetzt worden. Denn außer den Wasserbüffeln kann man seit Herbst 2019 auf einer 81 Hektar großen eingezäunten Weide mit vier angelegten Wasserlöchern und alten Gräben ganzjährig eine kleine Exmoor-Pony-Truppe und dazu eine Herde Fleckvieh beobachten. Kein Zoo sondern robuste Weidetiere auf einem ansehnlichen Wiesenareal – ein auf die Zukunft ausgelegtes funktionierendes Ökosystem. Die Agrargenossenschaft (AG) ist Pächter der Flächen; der ökologisch wirtschaftende Grünlandbetrieb „Weidelandwirtschaft Seelsches Bruch“ ist 2019 für das Projekt ausgliedert worden.
Außer der AG Emden eG sind am Projekt beteiligt: der Unterhaltungsverband Aller, die Landesstraßenbaubehörde, der Landkreis Börde mit Unterer Wasserbehörde, Unterer Forstbehörde und Unterer Naturschutzbehörde, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und der Bundesforstbetrieb Mittelelbe, der als zukünftiger Eigentümer die erfolgreiche Bewerbung zum UN-Dekade-Projekt gestellt hatte. Alle Partner haben zusammen Bewirtschaftungsziele festgelegt: „Ganzjährige sehr extensive Bewirtschaftung mit sehr robusten Weidetieren, die Entwicklung eines sehr naturnahen, arttypischen Herdenverbandes, die Entwicklung der Fläche als Ergebnis des Fraß- und Komfortverhaltens der gewählten Weitetiere, die Entstehung mosaikartiger Verzahnungen von Vegetationsstrukturen, also Vielfältigkeit auf engem Raum und die Schlüsselfunktion der Weidetiere im Ökosystem als Landschaftsgestalter sowie die Schaffung von Nischen für Tier- und Pflanzenarten.“ Ein Seeadler ist bereits heimisch. Zudem kann man Kraniche, Schwäne und Nilgänse an den Flachwasserzonen beobachten.

Ein besonderes Stück Landschaft mitten in der Börde

Das Seelsche Bruch war einst ein großer See von 500 Hektar, so beschreibt es Bernd Gehre, der sich um die Geschichtsschreibung Hakenstedts und der Umgebung bemüht, auf seiner Internetseite. Hier ist weiter nachzulesen, dass Seelschen, ein einstiges Dorf in der Nähe, Namensgeber für das Gebiet war. Verlandungsprozesse verlangten bereits 1550 ein Anstauen um den Pachtfischern das Einkommen zu sichern. Seelsches Schilf deckte man auf die Hausdächer. Noch im 17. Jahrhundert unternahmen die Herren von Alvensleben Gondelfahrten auf ihrem See. Durch die weitere natürliche Verlandung wurde aus dem See ein Morast- und Bruchgebiet. Auf höher gelegenen Stellen wuchsen Büsche, später Bäume. 1720 begann man mit der künstlichen Trockenlegung durch Gräben bis zur Aller. Wiesen und Äcker entstanden, das einstmals reichlich vorhandene Niederwild mied die jetzt trockenen Gebiete. Aber es blieben im Norden immer feuchte Flächen, die nur extensiv genutzt werden konnten. Durch den Ausbau der Bundesautobahn A2 wurde dieser Teil des Bruchs zu Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen herangezogen. Die Bundesrepublik wurde Eigentümer der 200 Hektar, auf denen meist nur gemäht wurde. Großes Ziel ist nun die Wiedervernässung des Seelschen Bruchs. Die zuständige Behörde formuliert das im Planfeststellungsverfahren 2005 so: „Neben der Wiederherstellung des Feuchtgebietscharakters ist eine ökologisch verträgliche, extensive Feuchtgrünlandbewirtschaftung zu etablieren, wobei unterschiedliche Mahd- und Beweidungssysteme zur Erhaltung der Grünländer zum Einsatz kommen“ Man nennt es hier ein „ökologisch angepasstes und nachhaltiges Landnutzungssystem“.

langfristige Planungssicherheit ist wichtig

Auszeichnung zum UN-Dekade-Projekt (von links): Andreas Dörter, Susanne Osterloh, Andreas Löbe, Klaus-Peter Hurtig, Heinrich Menkhaus, Landrat Martin Stichnoth, Katrin Windel, Silke Fischer, Michael Daul, Ministerin Claudia Dalbert.

Ein langjähriges zähes Debattieren um die Umsetzung dieser Ziele begann. Die 2019 ausgehandelte Weiterführung des Nutzungsvertrages über 116 Hektar räumte schließlich Planungssicherheit für die AG Emden bis 2035 sowie die Unterverpachtung ein. Mit finanzieller Hilfe aller Partner entstand ein Unterstand und ein rund sechs Kilometer langen Schutzzaun mit Toren der eine Gesamtfläche von 81 Hektar umschließt, die aus Weideland, Gräben und vier mit Wasser gefüllten Mulden bestehen. Eine solarbetriebene Wasser-Pumpanlage stellt die Versorgung der hier lebenden Tiere sicher. Im Oktober 2019 zog dann die Wasserbüffelherde auf das weitläufige Areal. Die Kühe, Kälber und Bulle Klaus nahmen ihr neues Territorium beim friedlichen Grasen in Besitz. Kurz danach kam die fünfköpfige Herde Exmoor-Ponys im Bruch an: Anna und Brunhilde sowie die drei Wallache Jim, Jack und Johnny waren zu Anfang noch etwas scheu, fühlen sich aber mittlerweile heimisch. Die Weidetiere werden durch eine Mutterkuhherde der AG Emden von 20 Mutterkühen samt Bulle und Kälbern vervollständigt. Hier wie bei den Wasserbüffeln sind nun schon etliche Kälber geboren, so dass sich dem naturliebenden Betrachter am Zaun ein abwechslungsreiches Bild friedlich weidender Tiere präsentiert. Den Kauf der Tiere ermöglichte ein Darlehen, aufgenommen von der AG Emden und des Grünlandbetriebes. Der laufende Geschäftsbetrieb finanziert sich aus der Betriebs- und Extensivierungsprämie und aus dem Verkauf von Heu und Grassilage.
Ein Aussichtsdeck mit Informationstafeln über das Seelsche Bruch und seine Bewohner ist bereits in Planung und Leaderfördermittel beantragt, aber interessierte Besucher und Beobachter sind schon jetzt willkommen. Die Beobachtung der Weidetiere sollte zur eigenen Sicherheit, auch wegen der Unfall- und Verletzungsgefahr durch den elektrischen Strom, von außerhalb des Zauns erfolgen; keine Hunde zum Weidegebiet mitnehmen.

Biodiversität im Fokus der Vereinten Nationen

Ministerin Dalbert und Michael Daul mit einer Wasserbüffelkuh während der Weidebegehung am Auszeichnungstag.

Ziel der UN-Dekade Biologische Vielfalt 2011–2020 in Deutschland ist es, möglichst viele Menschen für den Schutz und den Erhalt der Biodiversität zu begeistern. Am Ende des Jahrzehnts sollen mehr Menschen wissen, was biologische Vielfalt ist, warum wir sie brauchen und wie jeder etwas dazu beitragen kann, sie zu erhalten.
Die biologische Vielfalt nimmt weltweit und auch in Deutschland stark ab. Um diesen überwiegend durch menschliches Handeln bedingten Rückgang aufzuhalten, haben die Vereinten Nationen das Jahrzehnt von 2011 bis 2020 zur UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgerufen. Die Dekade unterstützt die Ziele und weltweiten Aktivitäten der Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD), die in Deutschland in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt verankert sind. Im Rahmen der UN-Dekade finden in Deutschland verschiedene Aktivitäten statt, um mehr Menschen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, unserer natürlichen Lebensgrundlage, zu sensibilisieren.
Eine Expertenjury bewertet den Beitrag, den das Projekt zur Nationalen Strategie und zur Erhaltung der biologischen Vielfalt leistet, die Multiplikationswirkung, die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, den Innovationsgrad, die Langfristigkeit sowie den Bezug zum Schwerpunktthema. Ausgezeichnete Projekte dürfen für zwei Jahre ab dem Datum der Auszeichnung den Titel „Ausgezeichnetes UN-Dekade-Projekt“ führen. Danach können sie sich erneut bewerben. Sie erhalten ein Zertifikat, den „Vielfalt-Baum“ als Trophäe sowie Materialien zur Öffentlichkeitsarbeit.

Text und Fotos: Barbara Ilse

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