Ich war noch niemals…
bei der Internationalen Grünen Woche in Berlin und das, obwohl die Fach- und Verbrauchermesse mittlerweile auf eine 85-jährige Geschichte zurückblickt. (Meine ist kürzer.) Aus einer schlichten lokalen Warenbörse ist die international bedeutendste Messe der Ernährungswirtschaft, der Landwirtschaft und des Gartenbaus geworden, zu der in diesem Jahr 400 000 Besucher erwartet werden. Hochgesteckte Ziele!
Aus der Börde nach Berlin
Ohne mich schaffen sie das nicht, dachte ich mir, und so fuhr denn mein Bus am Dienstag um sieben Uhr am Oscherslebener Busbahnhof ab. Die Damen und Herren des Bauernverbandes „Börde“ hatten im Vorfeld ganze Arbeit geleistet und für die knapp 100 Leute alles perfekt vorbereitet: Ein Bus des Egelner Busunternehmens „Winter“, ein weiterer Bus des Sudenburger Reisespatzes mit Frühmorgensabfahrten unter anderem in Haldensleben, Wolmirstedt, Wanzleben und eben Oschersleben, guter Service, selbst die Messe-Eintrittskarten gab es unterwegs schon ausgehändigt. Und wahrscheinlich werde ich den Schlagerohrwurm „Ein Student aus Upsalalalalala“ nie wieder los.
Zweieinhalb Stunden und hundert andere uralte Schlager später, mit Raststättenpause, stand ich vor dem riesigen „ExpoCenter City“ im Berliner Ortsteil Westend des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf. Karte vorgezeigt und dann…oh ja, riesig! 1800 Aussteller! Hallenplan gekauft und ab in die Sachsen-Anhalt-Halle. Es ist Bördetag!
Landrat Martin Stichnoth eröffnete „Tag der Börde“
Gerade angekommen und schon eröffnete Landrat Martin Stichnoth die Sachsen-Anhalt-Bühne den Tag mit dem Motto: „Zusammen leben, zusammen wachsen“ und während die Dahlenwarslebener Karnevalisten auf der Bühne nach „Irmchen“ suchen, habe ich meinen Durst schon mit einem dunklen Colbitzer Bier gestillt. Dazu gab es ein Entenleberwursthäppchen aus dem Fläming. Bier bezahlt und Happen umsonst und so ging es auch weiter; Kleingeld war sehr gefragt, aber es gab auch viele Köstlichkeiten kostenlos und größere Einkäufe konnte man zudem mit Karte bezahlen. Am Stand der Hochschule Anhalt kostete ich kostenfreien hellblaugrünen Algenjoghurt, während mir die Damen die gesundheitlichen Vorteile erklärten. Es schmeckte ungewohnt aber gut. Und die bayerische Blasmusik lockte mich in die nächste Halle. Bierausschank all überall und es roch nach deftigem Essen. Hungrig war ich noch nicht und so grübelte ich denn in der folgenden Sachsen-Halle über ein Sonderangebot von Birkenzucker nach: Wie viele Zuckerarten braucht der Mensch?Produkte aus Deutschland und der Welt
Im Alten Land in der Niedersachsen-Halle probierte ich Apfelschnitze verschiedenster Sorten und an einem Glücksrad gewann ich eine Tasse nett servierten Ostfriesentee. In der Thüringen-Halle schmetterte ein Chor das Rennsteiglied, während ich Wanderziele am Tourismusbüro-Stand studierte. Bratwurstgeruch macht mich esslustig, aber nein, denn auf dieser Messe muss etwas ganz Besonderes, was Exotischeres mein Hungergefühl stillen.
Eine Gruppe Damen und Herren schnitzen aus Tannenbaumspitzen Quirle. „Das ist nachhaltig! Kaufen Sie! Nur fünf Euro!“ Brauche ich nicht, denn der von meinem Vater tut immer noch gute Dienste. „Das hat mein Opa auch immer gemacht“, kommt es von einer Mitzuschauerin und schon gibt es eine fröhliche Gesprächsrunde: „Ja, früher…“ und so weiter. Rote und gelbe Tulpenbeete in der nächsten Halle. Ja, Holland! Sehr schön gestaltete Stände und so esse ich hier mal schwarzen Käse und da kleine leckere Tomaten. „Heute 50 Narzissenzwiebeln für 10 Euro! Kaufen sie!“ Ich kaufe, suche aus allen Sorten 50 zusammen und freue mich jetzt schon auf mein Beet. „Ick liebe Berlin“, ruft der junge Holländer mir zu, „und darum können sie sich auch noch 10 Tulpenzwiebeln aussuchen!“ „Danke.“ Perfekt. Ab in den Rucksack. Vorbei an Marokkos Wohlgerüchen, probiere ich in Polen eine gut gewürzte Fleischsülze und ignoriere die zehn heiß umlagerten Pivo-Stände. Wunderhübsch anzusehende Mädchen tanzen an einem der Bulgarienstände nach traditioneller Musik und an einem Ungarn-Stand erwerbe ich scharfes Paprikapulver. Englisch hilft auch hier, um etwas über Gewürze und Rezepte zu erfahren. In einem extra Gulaschrestaurant applaudieren einige Besucher fröhlich, als die dampfenden Teller aufgetragen werden.Highlight Blumenhalle
Vor der Blumenhalle noch eine kleine Pause auf eine Vier-Mann-Hollywoodschaukel aus Robinienholz. Der Aussteller von Gartenmöbeln ruft: „Sitzen verboten; schaukeln erwünscht!“ Und schon geht es los, irgendwer schiebt an und alle Vorbeigehenden schauen neidisch auf uns fröhlich schnatternde Schaukler. Fußlahmigkeit nimmt im Laufe des Tages offenkundig zu. Bei mir nicht und so wird denn die Blumenhalle mit den abertausend Frühjahrsblühern ein besonderes Ereignis zum Langzeitumwandern, Bestaunen, Schnuppern und Fotografieren. Einfach wunderschön. Ringsherum unzählige Angebote zum Gärtnern und Basteln inklusive „Gärtnerbier“.
Auch in den nächsten Hallen gibt es viel zu Staunen für mein Gärtnerherz, auch den besonderen Samen vom „Trommelstock“, einer gelben Blume. Gekauft. Irgendwo dazwischen Ostereiermalkunst aus der Ukraine und die „neuesten, besten, stärksten Fensterreinigungstücher der Welt“. Das war eine Etage tiefer, Haushaltstechnik, wohin es mich nach dem Toilettenbesuch verschlagen hatte. Aber dann, wieder treppauf, kommen die skandinavischen Länder mit gebeiztem Elchfleisch in Norwegen oder Lachshäppchen in Schweden und diversem Hochprozentigem im Ausschank. Und die Gerüche! Knobibrot aus Lettland, kunstvoll arrangierte, gekochte und gepellte estnische Wachteleier und daneben zwei junge Männer, die gekonnt tief zur Gitarre unverständliche Laute schmettern – Tanzstimmung bei den Umstehenden. Lebkuchenpilze, stacheliger Baumkuchen und Gurke in Schokolade mit Mintgeschmack an einem litauischen Stand.
Ein unvergessliches Erlebnis
Zwischen fischlastigem Australien und einem grellbunten Amerikaangebot ein gut besuchter Berliner Guinness Irish Pub und dann der „Sultans Palast“, an dem man Honig-Granatapfel-Konfekt testen kann. Hmm… Einige Verkäuferinnen haben sich zu einem arabischen Tanz zusammengefunden. Basaratmosphäre mit glänzenden Teegläsern und Gewürzwolken. Aber vorwärts; der Bus fährt um fünf von Parkplatz 18 ab.
Nächste Halle: Zwischen dem Stand mit italienischem Grappa und dem französischen Salamistand preist Käse-Fred aus Hamburg lautstark seine Zehn-Euro-Tüten an: „Nur heute noch diesen herrlichen fetten Brie dazu!“ Ein wenig Hunger und noch mehr Appetit auf bretonische Austern mit einem Glas Champagner, das gönne ich mir, lecker. In der Schweizer-Ecke kann man mit einer Armbrust auf einen Plastikapfel schießend, Käseproben und einen Apfel erringen. Getroffen, und so wird ein Appenzeller zu meinem neuen Lieblingskäse. Hefte mit Rezepten von Schweizer Bäuerinnen legen mir die netten Tourismusleute noch dazu, weil meine Eintrittskartennummer mit einer geraden Zahl endet.
Beim Einsteigen in den Bus empfängt mich der fast vergessene „Student aus Upsalalalalala“. Ach, das Leben ist schön, an einem Tag über den Globus gelaufen, soviel für Auge, Ohr, Hirn, Magen und Rucksack.
Text und Fotos: Barbara Ilse
Hier noch ein paar Videoimpressionen:
Comments are closed