Allgemein-Ländlicher Raum-Natur + Umwelt-Politik + Förderung


Urban Jülich aus Hadmersleben ist Landwirt und Vorsitzender des Bauernverbandes „Börde“ e.V.. Deutschlandweit haben Landwirte für den Rücktritt von Bundesumweltministerin Svenja Schulze demonstriert. Auslöser soll unter anderem ihr Bericht zur Lage der Natur sein, wo sie vor allem der intensiven Landwirtschaft die Schuld für einen überwiegend schlechten Zustand der Agrarlandschaft gibt. Wir fragen: Lügt die Ministerin?
Man kann es nicht abstreiten, die Natur befindet sich in einem Wandel und die Landwirtschaft hat einen Einfluss darauf. Auch die Grünen Agrarminister titelten in einer Pressemeldung „Jetzt das Artensterben stoppen“, wo sie in einem Brief an die EU-Kommission konsequentes Handeln mit dem Instrument der Agrarsubventionen die entscheidende Lösung sehen. Wie in anderen politisch motivierten Verlautbarungen treibt das einseitige Ansetzen an der Landwirtschaft den Bauern die Zornesröte ins Gesicht, denn die gesamtgesellschaftliche Verantwortung wird damit unterschlagen. Von politischen Entscheidungsträgern erwartet man zurecht, dass sie komplexen Herausforderungen angesichts der vorhandenen Expertise in den Ministerien, Fachbehörden und wissenschaftlichen Einrichtungen nicht mit einfachen, sondern mit angemessenen Maßnahmen begegnen. Nicht schnelle Meinungsmache und Stimmenfang sollen ihr Handeln bestimmen, sondern eine ehrliche Problemanalyse und nachhaltige Lösungen sollten sie leiten.

Wie schätzen Sie als Landwirt die Situation ein?

Das Ziel ein Artensterben zu stoppen wird niemals in Erfüllung gehen. Seitdem es Leben auf der Erde gibt, entstehen Arten und verschwinden sie – das zeigt die Evolutionsgeschichte. Dieser Prozess läuft mal mehr oder mal weniger dynamisch. Der Mensch hat einen Einfluss darauf, weil er Natur verändert. Für die populären Tierklassen, wie Insekten oder Vögel, ist die Veränderung ihrer Lebensräume ein wichtiger Faktor, wo oft die Landwirtschaft als der maßgebliche Einfluss erscheint. Doch blendet ein Fokus auf die Landwirtschaft andere wichtige Faktoren aus.

Welche Faktoren halten Sie für maßgeblich für die Artenvielfalt?

Der ebenfalls mal mehr oder weniger dynamische Klimawandel sorgt dafür, dass Arten über den Globus wandern, hier vermehrt Taubenschwänzchen oder asiatische Tigermücken, Nilgans oder Gänsegeier zu beobachten sind. Auch die Pflanzengesellschaften verändern sich im Zuge der Klimaveränderungen. Treibhausgase ausgestoßen durch Verkehr, Industrie, Abfallbehandlung oder auch durch Landwirtschaft tragen zur Erderwärmung bei. Fremdlicht und Funkwellen, wie der neue 5G-Standard sollen besonders auf Insekten schädlich wirken. Der Einfluss des Menschen auf den Klimawandel und die Lebensräume ist nicht zu leugnen.

Aber gerade den Lebensräumen in der Agrarlandschaft soll es schlechter gehen. Wie erklären Sie das?

Nur zur Hälfte besteht Deutschland noch aus landwirtschaftlicher Nutzfläche – mit täglich abnehmender Tendenz. In den letzten 20 Jahren ist in Deutschland durch Ausweitung von Siedlungs- und Verkehrsflächen oder das Anpflanzen von Wald sogenannter Offenland-Lebensraum von etwa 1 Million Hektar verschwunden. Das entspricht ungefähr der landwirtschaftlichen Nutzfläche von Sachsen-Anhalt, die nicht mehr für Feldvögel, Hasen oder Hamster zur Verfügung steht. Die verbliebenen Acker- und Grünlandflächen in Sachsen-Anhalt sind zu mehr als einem Drittel durch Landschaftsschutzgebiete, NATURA2000-Gebiete, Naturschutzgebiete oder auch durch Biosphärenreservate geschützt.

Aber auf der verbleibenden Fläche wird Landwirtschaft betrieben – zum Nachteil der Natur?

Richtig ist, dass Landwirtschaft diese Lebensräume nutzt und dadurch beeinflusst und verändert. Mit ihrer täglichen Arbeit ringen Landwirte der Natur die Rohstoffe ab, die wir für die Nahrungsmittelproduktion brauchen oder als Energieersatz für fossile Rohstoffe. Dazu gehört auch, dass wir um Licht, Wasser und Nährstoffe konkurrierende Unkräuter oder Schadinsekten bekämpfen. Ein Vorurteil ist jedoch, dass durch uns der Grünlandanteil abnimmt oder Feldgehölze verschwinden. Beides ist bei uns seit Jahren verboten beziehungsweise nur nach behördlicher Genehmigung mit Ersatzsaat oder Ausgleichspflanzung möglich.

Nun gibt es Forderungen der Natur etwas zurückzugeben und die Subventionen der Landwirte daran zu knüpfen.

Tatsache ist, dass schon jetzt die EU-Agrarbeihilfen fest an Auflagen zu Umwelt- und Naturschutz gekoppelt sind, obwohl sie ursprünglich als Einkommensausgleich für damalige Sozial- und Umweltstandards gezahlt wurden. Die Höhe der Zahlungen nimmt jährlich ab, die daran geknüpften Bedingungen werden aber immer mehr. Schon jetzt gibt es eine übergroße Fülle an einzuhaltendem Fachrecht, wo Landwirte Regeln unterworfen sind, die unsere Natur schonen sollen. So gibt es die Vorgabe für konventionell wirtschaftende Betriebe, mindestens 5% ihrer bewirtschafteten Ackerflächen als ökologische Vorrangfläche zu bewirtschaften, zum Beispiel als Brache, Blühstreifen oder mit einer Winterzwischenfrucht begrünt. Allein das Nichteinhalten dieser Auflage würde die EU-Agrarbeihilfen um ein Drittel reduzieren. Verstöße bei Düngung, Pflanzenschutz oder in der Tierhaltung würden ebenfalls zu schmerzlichen Einbußen bis hin zur Streichung der Beihilfen führen.

Also ist eigentlich alles in Ordnung?

Landwirte sind in der Natur unterwegs und erfreuen sich auch an ihr, wenn die Feldlerchen aufsteigen, das Reh aus dem Getreide schaut oder der Storch hinter dem Traktor Mäuse fängt. Wir sehen aber auch, wie der Fuchs ein Hasenjunges greift, Krähen das Kiebitzgelege ausnehmen oder Waschbären Greifvogelnester räubern. In der Werbung finden wir dann Sonderangebote für Wespenspray oder Insektenfallen und im Fernsehen müssen wir uns den Bericht der Bundesumweltministerin zur Lage der Natur anhören, die für Verschlechterungen allein die Landwirtschaft verantwortlich macht. Alle anderen Faktoren finden aber mit keiner Silbe Erwähnung beim Auftritt der Ministerin. Im Sinne der Selbstreflexion müsste man sich in der Regierung auch fragen, welchen Einfluss die bisherige Naturschutzpolitik, die immer mehr Schutzgebiete und Verbote erlassen hat, auf den vermeintlich negativen Zustand der Natur hat und warum es bisher nicht durchzusetzen war, dem Flächenfraß ein Ende zu bereiten. Die Strategie der Landwirtschaft Fläche wegzunehmen, Naturschutzprojekte zu machen oder Wald anzupflanzen, war anscheinend bisher nicht zielführend.

Jetzt geht der Schwarze Peter zurück zur Politik. Aber bleiben wir bei der Landwirtschaft – was können Landwirte tun, damit es der Natur besser geht?

Landwirte machen schon jetzt mehr als sie müssen und sie könnten da auch noch besser werden. Unabdingbare Grundlage sind wirtschaftlich stabile Landwirtschaftsbetriebe als Grundvoraussetzung. Einen wichtigen Beitrag dazu leisten die Gelder aus Brüssel. Sie wurden geschaffen, um den Mehraufwand für unsere Standards im Umwelt- und Sozialbereich zu bezahlen, die unsere Produkte aufgrund der offenen Weltmarktgrenzen nicht erlösen.

Können Sie konkrete Beispiele nennen?

In der Börde probieren wir gemeinsam mit der Agrarverwaltung aus, wie regional angepasst eine Integration von mehr Umwelt- und Naturschutz funktionieren kann. Man muss uns zugestehen, dass wir zum Großteil nach modernen Maßstäben intensiv Nahrungsmittel produzieren. An geeigneten Standorten in unseren Flächen wollen wir uns dafür intensiv für die Natur engagieren, Ackerwildkräuter fördern, etwas gezielt für Insekten tun oder Lebensräume für Hamster und den Rotmilan gestalten. Zum einen helfen dort Fördergelder, vor allem aber braucht es eine Politik, die das auch ernsthaft will und es nicht durch rechtliche Regelungen verunmöglicht. Wir möchten als Partner in Fragen des Artenschutzes gesehen werden und nicht als Sündenböcke.

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