Ackerwildkrautaussaat auf Bördefeldern
Franziska Waldschmitt hat es raus; die mit Maisschrot gestreckte Saatmischung verteilt sich gleichmäßig über die Fläche, wenn sie mit dem ganzen Arm ausholt und beim Zurückziehen langsam die gefüllte Hand neben der umgehängten Aussaatwanne immer weiter öffnet. Sie ist studentische Hilfskraft und sät mit ihrer Kameradin, Lena Hertel, im Auftrag der Stiftung Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt Ackerwildkräuter in ein Feld bei Niederndodeleben, welches auf Naturschutz ausgerichtet bewirtschaftet wird. Es ist Anfang November und kalt und windig. Die beiden sind dick eingemummelt und ihre Stiefel verkleben im leichten Nieselregen immer mehr mit feuchtem Bördeboden. Trotz alledem sind sie fröhlich bei der Arbeit und singen dabei Hits aus den 80igern. Das freut auch die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Stiftung, Antje Lorenz und Leonie Clauß, die vorbereiten, mithelfen und die Verantwortung tragen.
Leonie Clauß geht mit ihrem Tablet über die gegrubberte, einen Hektar große Ackerfläche und misst per GPS die 20 mal 20 Meter großen Parzellen zentimetergenau aus, in die die wertvollen Sämereien gestreut werden. Breitsaat ist die seit der Antike verwendete Sämethode. Die Fachfrau platziert Stangen an den Ecken und eine der drei Säerinnen streut die 3620,46 Gramm in der Parzelle aus den Saatmollen auf den lehmigen braunen Acker, auf dem manchmal einzelne Weizenkörner zu sehen sind. Von den frisch gestreuten Ackerwildkrautsaaten sieht man anschließend nur das Maisschrot, den Füllstoff. Dieser ist für das gleichmäßige Verteilen auf der Fläche notwendig. Das Etikett der Samentüte zeigt nur annähernd, wieviel Aufwand dahintersteckt. Lateinische Namen stehen dort und genaue Zahlen dokumentieren die Aussaatmengen der seltenen Wildkräuter: Insgesamt sind das 245 Ackerwildkraut-Samenkörner von Kornrade, Blauem Gauchheil, Sommer-Adonisröschen, Acker-Steinsame, Einjährigem Ziest, Spießblättrigem Tännelkraut und Kleiner Wolfsmilch pro Quadratmeter.
Hier auf dieser einen Hektar großen Fläche, die sich am Wartbergrand bei Niederndodeleben in der Hohen Börde entlang schlängelt, werden die Samen ausgesät, welche auf den normalen Feldern selten oder vom Aussterben bedroht sind. Antje Lorenz erklärt, warum das so ist: „Die Ackerwildkrautflora ist auf unseren Feldern durch die seit den 50iger Jahren immer intensiver gewordene Bewirtschaftung und Unkrautbekämpfung weitgehend verloren gegangen. Auch die Reinigung der Kultursaaten wurde immer ausgefeilter. Dadurch verschwand auch die Kornrade. Sie wurde früher mit dem Getreide immer wieder ausgesät. Jetzt ist sie sehr selten geworden.“
Zu Beginn der extensiven Ackerbewirtschaftung hat man geschaut, welches Samenpotential in der Samenbank des Bodens noch vorhanden war; es gab zum Beispiel noch das Acker-Leimkraut am Rand. Dann wurden alte Veröffentlichungen von Botanikern zur Rate gezogen, welche Arten es früher einmal im Gebiet gab und Arten zur Wiederansiedlung ausgewählt. Das Saatgut wurde aus noch vorhandenen Vorkommen seltener Ackerwildkräuter in Sachsen-Anhalt gesammelt und durch einen Wildpflanzen-Vermehrungsbetrieb vermehrt. Extrem seltene Arten, wie zum Beispiel der Einjährige Ziest, von denen es nur noch weniger als eine Handvoll Vorkommen in Sachsen-Anhalt gibt, wurden im Botanischen Garten der Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg vermehrt und dann auf extensiv genutzte Ackerflächen wie am Wartberg gebracht, wo sie wachsen und gedeihen dürfen.
Ackerwildkrautsamen unterschiedlicher Zusammensetzung werden hier auf den gleichen Plots nach 2021 und 2022 nun bereits zum dritten Mal ausgesät. Einzelne Sommer-Adonisröschen konnte man bereits bestaunen, wie auch andere Arten. Ein Schild am Feldrand informiert Besucher und Spaziergänger über die wertgebenden Ackerwildkräuter und deren Bedeutung für Insekten und Feldvögel.
Das Feld, auf dem die Frauen unterwegs sind, wird von Landwirt Urban Jülich seit 2019 extensiv bewirtschaftet. 30 Jahre soll das so bleiben. „Darum lohnt es sich, hier Arten wieder anzusiedeln“, sagt Antje Lorenz. Der Boden wurde nur flach gegrubbert und die halbierte Aussaatmenge Winterweizen mit doppeltem Reihenabstand eingedrillt. Pflanzenschutzmittel werden nicht angewandt und nur sehr wenig Dünger. So gibt es am Ende auch nicht viel Weizen zu ernten; Jülich erhält einen Ausgleich für den entgangenen Ertrag.
Mit Landwirt Urban Jülich wird über einen Parzellendrescher nachgedacht. Mit diesem Gerät wäre es einfacher möglich, das wertvolle Saatgut auf der Fläche zu behalten. „Schön wäre es, wenn wir insbesondere bei der Kornrade, die früher mit dem Getreidesaatgut immer wieder in die Felder ausgebracht wurde, einen Kreislauf auf den Flächen hinkriegen“, sagt Antje Lorenz, die unbedingt auf standorttreue Flächen setzt. Das große Ziel der Ackerwildkrautexpertin ist die Wiederansiedlung auch der stark gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Arten. Deshalb erfolgt hier auch ein späterer Stoppelsturz, erst Ende Oktober, damit auch spätblühende Arten ihre Samen ausreifen lassen können.
Jülich stellt unweit des Wartberges noch eine weitere, 6,7 Hektar große Fläche für die Wiederansiedlung seltener Ackerwildkräuter zur Verfügung: Am Teufelsküchenberg, auch Erbsberg genannt, säen die Frauen ebenfalls auf fünf Plots regionale Ackerwildkräuter aus. In Sachsen-Anhalt wurden insgesamt auf fünf Standorten mit neun extensiv genutzten Ackerflächen standorttypische Ackerwildkräuter aus regionalen Herkünften wieder angesiedelt. Diese Maßnahmen wirken auch dem Insektensterben und dem massiven Rückgang der Feldvögel in der Agrarlandschaft entgegen.
Gute Erfolge erzielt man erst über viele Jahre und deshalb werden solche Naturschutzprojekte über Fördergelder der EU finanziert. Das Land Sachsen-Anhalt steuert 20 % bei. Um so wichtiger ist es, dass das Land Sachsen-Anhalt die Mittel für die Kofinanzierung der EU-Gelder auch weiterhin bereitstellt, damit solche Projekte auch zukünftig umgesetzt werden können. Zudem sieht die Stiftung Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt ein großes Potenzial, auf freiwilliger Basis und in Kooperation mit Landnutzern Naturschutzziele zu erreichen.
Friedrich Schiller schrieb: „Sieh! Voll Hoffnung vertraust du der Erde den goldenen Samen. Und erwartest im Lenz fröhlich die keimende Saat.“ Der Schriftsteller meinte damals sicher Getreide, aber so ein Sommer-Adonisröschen ist eine sehr hübsche kleine Blume, für die die Arbeit auf alle Fälle lohnt.
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