Vom Ferienjob in die Ausbildung
„Die beste Arbeit ist die Bodenbearbeitung und am besten mit der Raupe!“
Dabei sind sich die beiden jungen Männer einig, die am 1. August 2023 ihre Lehrzeit zur „Fachkraft Agrarservice“ im Landwirtschafts- und Dienstleistungsbetrieb Nehring-Isermeyer-Bückner Service GbR (NIB) in Beckendorf beginnen.
„Das ist Landwirt ohne Tiere“ erklärt Paul Bosse, der in Ausleben zur Schule ging und schon in der ersten Klasse wusste, dass er in der Landwirtschaft arbeiten wird.
Sein Cousin hatte im Nachbardorf einen landwirtschaftlichen Betrieb und dort war er immer, wenn Ferien waren oder irgendwie Zeit. Noch vor dem 16. Geburtstag hatte er den Traktorführerschein in der Tasche und arbeitete die Ferien über in Schlanstedt als Erntehelfer. Durch seine Freundin kam Paul nach Beckendorf, fand den Betrieb der Familien Nehring, Isermeyer & Bückner und bewarb sich hier im Oktober 2022. Seitdem verbringt der nun Siebzehnjährige seine Ferien auf den Feldern seines zukünftigen Ausbildungsbetriebes.
Marvin Vogel wohnt seit 2011 mit seiner Familie in Beckendorf und seine Erinnerung an Landwirtschaft beginnt mit einem Rapsfeld vor der Haustür. Ab dieser Zeit fuhr der kleine Junge sommers mit im Drescher oder Traktor über die Felder des heimischen Landwirtschaftsbetriebes. Enger wurde die Bindung an den Betrieb durch ein 14-tägiges Praktikum im Oktober 2021: „Ich bin mit dem Rübenroder mitgefahren und habe beim Maisdreschen geholfen. Das hat mir alles sehr gut gefallen. Und hier arbeitet eine gute Truppe zusammen.“ Marvin, der im Dezember 17 Jahre alt wird, hatte Glück, dass seine Schule, die Oscherslebener Gemeinschaftsschule A.S. Puschkin, an einem Projekt teilnimmt, wobei die Schüler alle 14 Tage mittwochs einen Praxislerntag absolvieren. So hat Marvin schon früh in viele Arbeitsbereiche eines Bauern hineinschauen können: Vom Rübenschosser ziehen über die Arbeit im Lager bis zu Einblicken in die Bedienung, Pflege und Wartung der großen Maschinen, die es auch ihm besonders angetan haben: „Nachdem ich im Dezember 2022 den Treckerführerschein gemacht hatte, da ging es richtig los“, lacht der junge Mann begeistert. Jetzt darf er selbst die Raupe (John Deere 9620 RX) fahren.
Paul und Marvin mögen gleichermaßen die Vielseitigkeit der Bauernarbeit, das ruhige Tun im Traktor oder auch das Schrauben in der Werkstatt, wenn es regnet oder im Winter; sie haben ihren Beruf gefunden und während andere nach dem Abschluss der Schulzeit Urlaub machen, unterbrechen beide ihre Arbeit nur zur Zeugnisausgabe. Schließlich ist Erntezeit und viel zu tun im Landwirtschaftsbetrieb, der einschließlich Dienstleistungsfläche etwa 3000 Hektar umfasst. Der Lehrvertrag ist längst unterschrieben und im August beginnen für die Zwei drei Jahre Ausbildung im Betrieb und in der Berufsschule in Wittenberg.
Heute aber ist ein besonderer Tag:
denn Marvins ehemaliger Lehrer, Siegfried Skupsch, ist wieder mit einer 8. Klasse der Oscherslebener „Gemeinschaftsschule A.S. Puschkin“ bei NIB zu Gast. Der Bauernverband unterstützt diese Betriebsbesuche im Rahmen des Programms „Grünes Klassenzimmer“. Klassenlehrer und auch Lehrer für Mathe, Physik und Wirtschaft, Siegfried Skupsch, ist mit allen drei 8. Klassen in diesem Jahr an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Beckendorfer Landwirtschaftsbetrieb. „Das ist eine gute Sache“, freut sich der engagierte und für Berufsorientierung verantwortliche Lehrer. „Wir hatten ja schon das zweiwöchige Betriebspraktikum und dann noch die Praxislerntage, bei denen die Schüler alle 14 Tage, immer mittwochs, in einen Betrieb ihrer Wahl gehen. Viele wissen dadurch jetzt schon, was sie werden wollen. Ein Schüler war zum Beispiel durch das Modellprojekt Praxislerntage bei einem Dachdecker und wird dann auch die Lehre dort beginnen.“ Auch für den Beruf des Landwirtes gebe es Interessierte in den 8.Klassen, weiß Skupsch.
„Überlegt euch gut, was ihr werden wollt. Denn am besten ist es, wenn die Arbeit Spaß macht. Und auf der Arbeit verbringt ihr später mehr Zeit als mit Eurer Familie.“
Landwirt Martin Schildt steht in der offen Maschinenhalle vor 22 Achtklässlern die heute den Beckendorfer Landwirtschaftsbetrieb besuchen. Schildt ist seit 19 Jahren hier im Betrieb beschäftigt und erzählt den jungen Leuten von seinem Beruf, der ihm immer noch Spaß macht, weil er die abwechslungsreiche Arbeit unter freiem Himmel mag, die Technik ihn begeistert, flexible Arbeitszeiten gut für die Familie sind, das Team entspannt zusammenarbeitet und der Job verantwortungsvoll ist. Er fügt hinzu: „Es ist schon beeindruckend, wie sich die Maschinen in diesen Jahren entwickelt haben. Die Pflanzenschutzspritze ist doppelt so breit, hat GPS und arbeitet zentimetergenau. Wahnsinn, dass das funktioniert!“ Den Mädchen in der Runde rät er, keine Angst vor der großen Technik zu haben; das wäre kein Problem. Aber die Fragen aus dem jugendlichen Publikum zur Technik, zum Beispiel zur Mähdrescherbreite, zum Rübenroder oder Tonnen und Hektar pro Saison kommen von den Jungen. Sehr geduldig beantworten Schildt und Chef Dr. Klaus Nehring Fragen zum Landwirtsberuf, Weiterbildungsmöglichkeiten, Technik und Anbau.
Dr. Nehring erzählt den Schülern, wie Marvin durch die Praxislerntage in seiner 9.Klasse bereits einen ganzen Jahreszyklus im Betrieb mitgemacht habe und dass er den Traktorführerschein zwar selbst bezahlt hat, aber durch das Üben auf dem Hof mit Traktor und Hänger des Betriebes deutlich schneller und billiger dazu kam. Nehring fügt an: „Marvin kennt den Betrieb und die Leute schon“, und erinnert: „Nehmt das Angebot von Schülerpraktikum und der Praxislerntage ernst!“ Den Beruf Landwirt bezeichnet der Chef als „ausgeprägt saisonalen Beruf“ was aber auch große Vielseitigkeit hervorbringe.
Pflanzenbauleiter Matthias Klings hat an diesem Tag die Aufgabe übernommen, vor der Klasse über den Marktfruchtbetrieb NIB und die Pflanzenforschung auf dem Stiftungsgut Üplingen zu informieren:
Getreidesorten werden mit Anschauungsmaterial vorgestellt, ebenso Mais, Rüben, Raps in ihrem jetzigen Entwicklungsstadium. Klings erklärt Bearbeitungsmethoden, dazugehörige Maschinen und einige können anschließend auf dem Hof und in den Hallen besichtigt und probegesessen werden. Dann geht es für die Jugendlichen und ihren Lehrer mit dem Bus wieder zurück nach Oschersleben.
Dr. Klaus Nehring, Mitglied im Vorstand des Kreisbauernverbandes „Börde“ e.V. möchte mit Praktikanten und der Ausbildung von Lehrlingen im eigenen Betrieb seit 2021, mit dem nunmehr dritten Ausbildungsjahrgang, dem zukünftigen Fachkräftemangel entgegenwirken. Natürlich senkt sich dadurch auch der Altersdurchschnitt des NIB-Teams mit 14 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Nehring, der auch Mitglied im Prüfungsausschuss des Landes für den Ausbildungsberuf „Fachkraft Agrarservice“ ist, hat festgestellt, dass „die Kids die Abläufe in einem Landwirtschaftsbetrieb durch den digitalen Landwirtschaftssimulator bereits ziemlich gut verinnerlicht haben und sich auch schon mit der Bedienung von Maschinen auskennen, insbesondere Maschinensoftware und Terminals. Sie kämen nach ‚getaner Arbeit‘ oft nachmittags Hause und verbreden sich dann noch mit den Kumpels zum digitalen Grubbern, Drillen, Pflegen, Düngen, Dreschen, Abfahren und Vermarkten von Früchten am PC. „Diese Emotionen und den daraus entstehenden Berufswunsch können wir doch in der Realität hier im Betrieb super bedienen – ein echtes topping“, so Dr.Nehring. Dazu gehöre natürlich auch eine social-media Präsenz mit regelmäßigen Updates (@nib.agro).
Dr. Nehring fügt noch hinzu: „Nicht zuletzt bieten auch die weiterführenden Bereiche Pflanzenbauleitung, Fuhrparkleitung und betriebswirtschaftliche Administration interessante innerbetriebliche Zukunftsmöglichkeiten, auch für Abiturienten mit Studienwunsch oder Absolventen der höheren Landwirtschaftsschulen, die wir gerade mit guten Kandidaten anschieben.“
Auch andere positive Effekte für den Betrieb machen sich bemerkbar:
Nehring möchte jungen Menschen einen Einstieg im Betrieb und Beruf durch Ferienarbeit mit und ohne Führerschein ermöglichen. Jedoch auch für das Unternehmen hätte Praktikum und Ausbildung positive Effekte: Zum Beispiel läge ein besonderer Fokus auf Arbeitssicherheit und dem Prüfen und Optimieren von Prozessen; eingeschliffene Sachen kämen wieder auf den Prüfstand sowie ein Bewusstsein für Ausbildung und Erziehung entwickele sich im Team, wenn plötzlich sehr junge Erwachsene auf dem Hof seien.
Ihm sei es auch wichtig, dass eine Verbindung zu den Eltern der Azubis aufgebaut werde: „Es geht um nicht weniger als einen neuen Lebensabschnitt ihrer Kinder nach der Schule, um gegenseitigen Respekt, um Bildung von Persönlichkeiten. Und nicht zuletzt haben wir nach dem Lehrvertrag nicht nur die Verpflichtung auszubilden, sondern auch eine Erziehungspflicht“, so der Diplomagraringenieur, der seinen Lehrlingen jeweils einen erfahrenen älteren Kollegen als Ausbildungspaten und ersten direkten Ansprechpartner zur Seite stellt. In diesem Jahr kommt diese besondere Rolle auch auf Martin Schildt zu, der sich schon sehr freut.
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